«inside» Nr. 1 / Mai 2023

Siedlungen / Erstes Brown-Bag-Lunch-Meeting

Erstes Brown-Bag-Lunch-Meeting

Am Anfang stand der Wunsch, die Mitarbeitenden der Röntgenhof auf das Thema Nachhaltigkeit zu sensibilisieren. Das führte unter anderem zum Pilotversuch einer Brown-Bag-Session zum Thema Biodiversität.

Die Idee eines Brown-Bag-Lunchs ist es, Wissen breiter in einer Organisation zu verteilen. Der Begriff kommt von den Essenspaketen, die in den USA typischerweise in braunen Papiertüten – «brown bags» – verpackt sind. Eine Mittagspause wird jeweils dazu genutzt, Mitarbeitenden jenseits von Hierarchie und Funktion Wissen in einer lockeren Atmosphäre zu vermitteln. Oftmals folgt auf ein Inputreferat eine Diskussions- und Fragerunde.

So fand Mitte März auf der Geschäftsstelle das erste Brown-Bag-Lunch-Meeting der Röntgenhof statt. Neugierig hatte sich das Team im Sitzungszimmer eingefunden. Im Vorfeld war gar die Frage aufgepoppt, was es mit dem Lunch auf sich habe – ob es Insekten zu essen gebe. Gross war die Erleichterung, als dies verneint wurde. Der Pilotversuch wurde ein Volltreffer! Umweltwissenschaftler Daniel Ballmer hielt ein spannendes Inputreferat. Alle Teilnehmenden lernten hinzu und gewannen neue Erkenntnisse. Schnell wurden der generell grosse Wissensdurst der Mitarbeitenden und ihre Freude an dieser neuen Plattform spürbar.

Im Anschluss an Daniel Ballmers Referat ergab sich beim Mittagessen eine angeregte Diskussionsrunde. Es ist absehbar, dass die Biodiversität in den Siedlungen und den Bauvorhaben der Röntgenhof verstärkt einbezogen werden wird.

Was ist Biodiversität?
Biodiversität beschreibt die Vielfalt von Arten und ihren Genen sowie die Vielfalt von Lebensräumen und Ökosystemen. Es geht also um die Lebensgrundlage aller Arten und auch um die Stärke und die Vielfalt der Beziehungen zwischen ihnen. Für ein Ökosystem ist die Vernetzung der Lebensräume wichtig. Man kann sich das vorstellen wie Siedlungsgebiete und die sie verbindenden Verkehrswege: Für den Schutz und den Erhalt brauchen auch andere Arten ihre Lebensräume und analog zu unseren Strassen durchlässige Verbindungen dazwischen. Die Vernetzung ermöglicht Arten nämlich die Wanderung zwischen ihren Lebensräumen im Tages- oder im Lebenszyklus, saisonale Wanderungen und den genetischen Austausch. Ähnlich einem isolierten Zimmer ist ein nutzbarer Raum besser als nichts. Wenn aber ein Zimmer von anderen abgeschottet ist und keinen Zugang zu Wasser, Licht und zum Aussen hat, bietet es deutlich weniger Lebens- und Nutzungsqualität als ein integriertes Zimmer.

Eine hohe Artenvielfalt sichert mehr Stabilität, reagiert resilienter auf Störungen und Umweltschwankungen und erzeugt allgemein eine bessere Lebens- und Wasserqualität. Ballmer lässt aufhorchen, als er davon spricht, dass wir uns mitten im sechsten grossen Massenaussterben auf diesem Planeten befinden – und dass der Mensch die Ursache für das aktuelle sei. Höhere Temperaturen, trockenere Sommer und heftigere Unwetter: Neben der Umweltverschmutzung bedroht auch der Klimawandel die Artenvielfalt und beschleunigt den Biodiversitätsverlust.

Aufwertung bestehender Strukturen
Gegensteuer bieten artenreiche Wiesen und Weiden, magere Trockenstandorte, Feuchtgebiete, ein strukturreiches Offenland, freie Fliessgewässer und alte Bäume. Gerade sie und Totholz sind in Wäldern von grosser Bedeutung. Etwa ein Fünftel der Organismen des Waldes nutzen sie als Lebensraum und/oder Nahrungsquelle – das sind rund 6‘000 Insekten-, Pilz-, Wirbeltier- und Pflanzenarten. Höhlen, Spalten und Löcher dienen als Eiablagestelle, Kinderstube, Futterquelle, Versteck und Überwinterungsquartier. Im Gegensatz zu den Wiesen mit einer Vielzahl an Gräser- und Blumenarten sind Rasen ein Lebensraum mit geringem Artenreichtum. Ihre intensive Pflege und Düngung verhindern die Ansiedlung anderer Pflanzenarten. Insbesondere wegen fehlender Blütenpflanzen hat der Einheitsrasen einen geringen ökologischen Wert.

Land versus Stadt Kein Zweifel:
Am höchsten ist die Artenvielfalt in naturbelassenen Regionen. Ballmer überrascht mit seiner Aussage, dass aufgrund der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung verschiedene Arten an Vögeln, Kleinsäugern und Reptilien vom Land in städtische Siedlungsräume verdrängt werden.

In Städten gibt es unvermutet viel kleinflächigen Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Die verdrängten Arten finden hier in Gärten, Parkanlagen, Friedhöfen, Gewerbearealen, an Wegrändern, in nischenreichen Siedlungen, auf begrünten Dächern, Balkonen, Grün-, Kies- und Freiflächen sowie in Staudenbeeten ihren Ersatzlebensraum. Die Tatsache, dass rund 70 % der Tierarten und die Hälfte der einheimischen Wildpflanzen im Siedlungsgebiet vorkommen, zeigt, dass Biodiversität eben auch in den Städten vorhanden ist. So sind duftende Blüten, mehr Schmetterlingsarten, farbenfrohe Wiesen und Sträucher eher in Schweizer Städten als in Landwirtschaftszonen anzutreffen. Die Biodiversität brauche keinen spektakulären Rahmen und komme auch unscheinbar daher. Bei Nennung des Viadukts vis-à-vis der Geschäftsstelle als Paradebeispiel weiten sich bei so manchen der Zuhörenden dann doch die Augen: Ballmer meint damit die Saumstreifen aus Gras, Büschen sowie Steinhaufen entlang des Wegrands. Auch die Aussage, dass die Artenvielfalt auf mageren Standorten deutlich grösser sei als auf nährstoffreichen Böden, überrascht Laien. Ballmer verweist auch auf die Bedeutung von einheimischen Pflanzen. Diese seien bei Neupflanzungen zu verwenden, da nur sie den einheimischen Tierarten eine ausreichende Nahrungsversorgung gewährleisteten.

Innovatives Webtool
Daniel Ballmer ist Geschäftsleiter des Vereins Floretia. Seine Idee stand Pate für dessen Onlineplattform. Auf ihr können Interessierte ihre Postleitzahl und ein paar Details zum Standort eingeben – und schon sehen sie, mit welchen Wildpflanzen die Biodiversität an diesem Standort am besten gefördert werden könnte. Sie erfahren auch gleich, wie man diese pflanzt und pflegt, welche Tiere von ihnen profitieren und wo sie Wildpflanzen und Saatgut aus ihrer Region erhalten.

Die steigenden Temperaturen aktivieren sicher so manche Balkonfans, sich über ihre Bepflanzung Gedanken zu machen. Vielleicht überlegen sich einige der Leser dieser Ausgabe, statt beispielsweise Geranien diesmal andere Pflanzen zu setzen, die mehr Wildbienen, Schmetterlinge und Insekten anlocken und mit Nahrung versorgen.

Ein Streifzug durch www.floretia.ch liefert Ideen